Label M von Werkstatt für Jugendkultur e.V.

Der gemeinnützige Verein bringt seit 2009 soziale Arbeit und Kunst in Saarbrücken zusammen. Hierbei stehen Selbsterfahrung und die Integration in den kulturellen Kontext im Vordergrund. Es geht dem Verein um natürliche künstlerische Entfaltung, Integration und kulturellen Austausch durch Jugend- und Subkulturen. Mit einem Team aus Musikern, Künstlern, Kameramännern und Helfern veranstalten sie Workshops, Kurse und Events und produzieren Filme – mit dem Ziel, orientierungs- und perspektivlosen Jugendlichen Musik und das Sprühen an legalen Wänden näherzubringen.

07. September 2017

Reportage über Label M.
Graffiti statt Oper.

Sprayer, Skater, Rapper: begäbe man sich auf die Suche nach Vertretern junger, städtischer Subkulturen, man würde wohl kaum in Saarbrücken damit beginnen. Für ihre Musik- und Kunstexporte ist die Stadt bisher nicht bekannt. Und in den popkulturellen Diskurs schafft sie es immer wieder wenn es darum geht, Witze über ein kleines und vermeintlich nichtiges Bundesland und seine Landeshauptstadt zu machen.

Dabei tut man Saarbrücken Unrecht, wenn man davon ausgeht, es gäbe dort keine prosperierenden Jugendszenen, aufstrebende Künstler und passionierte Musiker. Tatsächlich ist die 180.000-Einwohner-Stadt kurz vor der französischen Grenze voll von ihnen, auch dank label m.

Garelly-Haus © Robert Rieger
Garelly-Haus © Robert Rieger
Garelly-Haus © Robert Rieger
Garelly-Haus © Robert Rieger

Der gemeinnützige Verein bringt seit 2009 soziale Arbeit und Kunst in Saarbrücken zusammen. „Alle stellen sich immer die Frage: wie erreicht man Jugendliche? Es ist ganz einfach. Man erreicht sie, indem man ihre Kultur, die schon vorhanden ist, einfach aufnimmt und anfängt, damit zu arbeiten. Das haben wir von Beginn an gespürt“, sagt Thomas Langhammer, während er in einem großen Ausstellungsraum im Zentrum der Stadt sitzt, und damit ist die Grundidee gut umrissen. Es geht dem Verein um natürliche künstlerische Entfaltung, Integration und kulturellen Austausch durch Jugend- und Subkulturen. Künstlerische Arbeit soll dabei helfen, Stärken und Schwächen jedes Einzelnen offenzulegen und an ihnen zu arbeiten.

Im Garelly-Haus, in dem label m seit kurzem ein Büro hat und Ausstellungsräume bespielt, wird die große Bedeutung der Jugendkulturen für den Verein schnell deutlich. Am Abend findet hier eine Ausstellungseröffnung statt. Schon jetzt hängen Siebdrucke von Street Art-Künstlern an den Wänden, Skateboard-Videos flimmern auf Leinwänden. In einem Nebenzimmer werden Kühlschränke mit Bier gefüllt. Ausstellung bedeutet hier immer auch: Party.

Gisela Zimmermann, Thomas Langhammer, Rûken Tosun © Robert Rieger
Gisela Zimmermann, Thomas Langhammer, Rûken Tosun © Robert Rieger

„Wer mitmachen will, kommt. Wer stört, geht.“

Vor allem aber beutetet es Arbeit. Viel Arbeit. Thomas Langhammer führt label m gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Künstlerin Gisela Zimmermann und der angehenden Lehrerin Rûken Tosun. Feste Mitarbeiter gibt es keine, und die drei Initiatoren sind neben dem Verein alle hauptberuflich tätig. Mit einem Team aus Musikern, Künstlern, Kameramännern und Helfern veranstalten sie Workshops, Kurse und Events und produzieren Filme – immer mit dem Ziel, orientierungs- und perspektivlosen Jugendlichen Musik und das Sprühen an legalen Wänden näherzubringen.

Anfangen hat alles in Malstatt, einem Problemviertel von Saarbrücken. Dort haben sich Zimmermann und Tosun während der gemeinsamen Arbeit in einem Jugendzentrum kennengelernt. Zu Beginn hatten fast alle Jugendlichen, die die Angebote von label m nutzten, Migrationshintergrund. Mittlerweile sind auch Biodeutsche unter den Teilnehmern. Auswahlkriterien gibt es keine: „Wer mitmachen will, kommt. Wer stört, geht“, so Langhammer über das niederschwellige Konzept.

© Robert Rieger
© Robert Rieger

Vor der Ausstellung am Abend geht es in einem klapprigen VW-Bus in die Wohnung von Langhammer und Zimmermann. In einem Hinterhof in der Saarbrücker Altstadt wohnen die beiden in hellen Räumen,  mit viel Kunst an den Wänden. Im Bücherregal stehen Walter Benjamin und Gernot Böhme. Die Wohnung dient Langhammer und Zimmermann als Atelier und Ausgangspunkt ihrer sozialen Arbeit.

Für ihre großformatigen Gemälde, die an Wände gelehnt in der Wohnung lagern, arbeitet Gisela Zimmermann immer wieder mit Spraydosen. „Sie kauft ihre Spraydosen in den gleichen Läden wie die Jugendlichen, mit denen wir arbeiten. Sie genießt großen Respekt bei ihnen.“ Rûken Tosun bewundert ihre Kollegin für ihren Stand unter den Sprayern der Stadt. Die Szene besteht fast ausschließlich aus Männern. „Das Markieren von Wänden ist ja schon eine eher männliche Geste, vielleicht liegt es daran“, so Langhammer. Außerdem sei die Hochkultur von Männern dominiert, das färbe letztlich auch auf die Subkulturen ab.

Bei Angeboten, die sich intensiv mit einem bestimmten Thema beschäftigen, ist dafür ein Großteil der Teilnehmer weiblich. „Ein Workshop zum Heimat-Begriff bestand fast nur aus Mädchen. Es sind die intellektuellen Themen, bei denen die Mädchen dabeibleiben.“

© Robert Rieger
© Robert Rieger
© Robert Rieger
© Robert Rieger

Diskussion, aber kein Streit

Heimat ist eines der großen Themen. Demnächst zeigt der Verein seinen ersten eigenen Langfilm, eine Dokumentation zum Thema, in der Passanten zu ihrem ganz persönlichen Heimat-Begriff befragt werden. Für die Workshops und Angebote soll und darf es keine Rolle spielen, woher die Jugendlichen kommen, welcher Ethnie und Religion sie angehören. Gewünscht ist einzig das Aufeinandertreffen verschiedener Einflüsse und Haltungen. Rûken Tosun sagt: „Wir wollen eine Diskussionskultur fördern. Kontroverse politische und gesellschaftliche Themen werden bei uns nicht tabuisiert. Ein blöder Spruch beim Malen ist eine gute Gelegenheit, um eine Diskussion anzuzetteln.“

Dass die Diskussion nicht zum Streit wird, liegt an den über Jahre aufgebauten Beziehungen zwischen den Jugendlichen und den Verantwortlichen des Vereins. Man kennt und schätzt sich, und vor allem schätzt man von der eignen Meinung abweichende Ansichten und Standpunkte.

© Robert Rieger
© Robert Rieger

Nach einem Kaffee geht es dorthin, worüber bisher nur gesprochen wurde: an „die Wand“, wie die 1800 Quadratmeter große Fläche direkt an der Saar genannt wird. Die Mauer ist eine der größten legalen Graffitiflächen des Landes. Regelmäßig wird sie neu grundiert, woraufhin Künstler aus Deutschland, Frankreich und Belgien für ein Wochenende nach Saarbrücken kommen, um sich auf ihr zu verewigen. An diesem Freitag ist es wieder soweit. Noch bauen die kleinen Gruppen auf und bereiten sich vor. Einige hundert Meter weiter flussaufwärts wird unter einer Brücke schon gearbeitet. Hier dürfen die Jugendlichen von label m sprühen, sich ausprobieren. Woher sie kommen, wer sie sind, was sie sonst so machen – all das spielt hier keine Rolle. „Wir wollen die Jugendlichen persönlich unterstützen, aber auch kulturell integrieren“, so Tosun, und das scheint an dieser gänzlich unglamourösen Wand hinter einem Heizkraftwerk gut zu funktionieren. Eine 16-Jährige arbeitet gerade an ihrem ersten Graffito, an Biertischen sitzen Langhammer und Zimmermann mit ein paar Jungs zusammen. Die Atmosphäre ist gelöst und familiär.

© Robert Rieger
© Robert Rieger
© Robert Rieger
© Robert Rieger

„Die Jugendlichen, die Lust haben, kommen seit acht Jahren immer wieder. Wir kennen die Menschen mittlerweile gut und haben einen engen, persönlichen Bezug zu ihnen.“ In Saarbrücken sei es einfacher als in anderen Städten, die Leute zusammenzubringen, so Thomas Langhammer.

„Es ist gut, dass das Saarland so klein ist.“ Der Grund für die zahlreichen Saarland-Witze, er wird am Ende zum Standortvorteil.

Text: David Jenal

23. Mai 2018

Interview mit Label M

Label m erzählen im Gespräch mit uns was alle Gewinner von The Power of the Arts vereint und was den Preis so wichtig für eine bunte Kulturlandschaft in Deutschland macht.

Wie geht es für Euch nun weiter? Welche neuen Projekte stehen an?

In den vergangenen Monaten konnten wir uns in neuen Räumen in einem anderen Stadtteil mit Jugendkulturprojekten installieren und bekannt machen. In den Workshops Musik, Tanz, Malerei und Raumgestaltung arbeiten wir jetzt auf das GARELLY SCENE Festival hin, das wir alle gemeinsam vom 31. August bis zum 9. September gestalten werden. Durch weitere hinzugekommene Förderzusagen werden wir die Workshops über den Projektzeitraum hinaus fortführen können und parallel mit interessierten Jugendlichen im demokratischen Prozess neue Formate entwickeln.

Welcher andere Teilnehmer hat Euch am meisten beeindruckt?

Bei der Präsentation der so unterschiedlichen Teilnehmer anlässlich der Preisverleihung in Berlin wurden die Gemeinsamkeiten schnell sichtbar: Das Ziel gesellschaftliche Teilhabe Aller durch Kunst und Kultur zu fördern, wobei die Mittel so vielfältig sind wie die Zielgruppen. Diese Gemeinsamkeit schlug sich sofort in dem herzlichen Miteinander aller Teilnehmer nieder. Das war insgesamt sehr beeindruckend.

Welchen Wunsch konntet Ihr Euch durch die Auszeichnung erfüllen? Wie hat sich Euer Projekt dadurch verändert?

Der erste Wunsch, nämlich unser Projekt label m – Werkstatt für Jugendkultur überhaupt weiter betreiben zu können, hat sich erfüllt, und das ist regelmäßig keine Selbstverständlichkeit. Wir können neue Räume mit Leben füllen und noch professioneller, gründlicher und nachhaltiger arbeiten. Wir hoffen, dass dieser Schub zu einer dauerhaften, soliden Basis für die Zukunft führen wird. Die Förderung ermöglicht es uns die ganze Vielfalt jugendspezifischer Kulturen parallel in Workshops bearbeiten zu können. Die meisten Jugendlichen sind in mehreren Sparten aktiv. Mit Spannung schauen wir auf das bevorstehende Festival und wie sich dann synergetisch die Gruppen ergänzen werden.

Warum habt Ihr Euch bei The Power of the Arts beworben? Wieso würdet Ihr anderen Initiativen empfehlen, sich zu bewerben?

Die Formulierung der Ausschreibung von The Power of the Arts entspricht in hohem Maße dem Konzept, das label m seit 2009 umsetzt: Mittels Kunst Identität und Identifikation fördern, als Grundlage für kulturelle Integration und gesellschaftliche Teilhabe. Es lohnt sich, mutig nach Fördermöglichkeiten zu suchen, auch wenn es sich dabei um den höchstdotierten Preis für kulturelle Teilhabe in Deutschland handelt. Das haben wir versucht und hatten Erfolg dabei.