Diana Kinnert, Tochter einer philippinischen Mutter und eines polnischen Vaters, wurde 1991 in Wuppertal geboren und studierte Politikwissenschaft und Philosophie in Göttingen, Amsterdam, Köln und Berlin. Seit ihrem 17. Lebensjahr ist die Autorin und Unternehmerin als Mitglied der CDU politisch aktiv. Darüber hinaus engagiert sie sich unter anderem als Botschafterin der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen in Sachen Generationengerechtigkeit.
Heute arbeitet Kinnert als freie Autorin und Journalistin für sämtliche Blätter, u. a. für den Tagesspiegel und für ZEIT ONLINE. 2017 erschien ihr Buch Für die Zukunft seh’ ich Schwarz. Plädoyer für einen modernen Konservatismus. Mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer unterhält sie seit 2020 ein regelmäßiges Gesprächsformat unter dem Titel Denken mit Kinnert und Welzer beim Fernsehsender phoenix.
Interview mit Jurymitglied Diana Kinnert
„Unser Wir-Gefühl ist in Gefahr.“
Mir gefällt, dass es sich bei The Power of the Arts um eine Unternehmensinitiative im Sinne der US-amerikanischen „corporate responsibility“ handelt. Als Politikerin und Unternehmerin stehe ich dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft sehr nahe. Ich plädiere für eine eher liberale und zurückhaltende rahmende Wirtschaftspolitik, sofern ich mich auf eine Wirtschaft aus „ehrbaren Kaufleuten“ verlassen darf. Dass die Philip Morris GmbH über die eigene Steuerverantwortung hinausdenkt und sich mit The Power of the Arts gesellschaftlich aktiv mitverantwortlich zeigt, finde ich daher unterstützenswert.
Das Preisgeld in Höhe von insgesamt 200.000 Euro für künstlerische und kulturelle Projekte zur Förderung von Solidarität und Zusammenhalt ist ein ernster Verantwortungsbeitrag, der die Kunst- und Kulturlandschaft unseres Landes voranbringt.
Mit meiner Jury-Teilnahme möchte ich kommunizieren, für wie wichtig und wertvoll ich derartige Unternehmensinitiativen im Allgemeinen erachte. Ein solches Engagement darf und muss Schule machen. Ich will andere Unternehmen darauf hinweisen.
Unser Wir-Gefühl ist in Gefahr: Altbewährtes ist im Umbruch, wir sehen uns mit Strukturwandel, digitaler Transformation und Globalisierung konfrontiert. All diese Veränderungsprozesse stellen gewachsene und geübte Solidaritätsmuster und Allianzen auf die Probe. Parteien, Gewerkschaften und Kirchen als klassische Orientierungsanker verlieren an Bindungskraft. Die Veränderungen in der Wirtschaft lassen Abstiegsängste und Existenzsorgen gedeihen, Missgunst, Feindbilder und Populismus finden Nährboden. Zugleich werden als selbstverständlich wahrgenommene Privilegien zunehmend hinterfragt, die bisher Ungehörten und Benachteiligten begehren auf. Wir stehen vor der historischen Chance, Partizipation, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit endlich fair und global auszuhandeln, in Solidargemeinschaften, die manchmal sogar über die eigene Nationalgrenze hinausreichen. Das kann nur als Wir gelingen.
Ich kann nicht beantworten, wie ich mir dieses „Wir“ ganz konkret vorstelle. Dafür müsste ich Zukunftsszenarien voraussehen können und mein Wertebild über das aller anderen stellen. Ich glaube daran, dass ein faires und gerechtes Miteinander nur dann gelingen kann, wenn wir zunächst Teilhabe für alle garantieren: Für die Alten auf dem Land, für die Jungen ohne Festanstellung, für die Neuankömmlinge ohne Heimat, für die, die anders aussehen, anders lieben, anders denken, für die Kranken, für die Verlassenen, für die, die Fehler gemacht haben. Mein Wir möchte zunächst einladen, und dann auf Augenhöhe aushandeln.
Kunst geht voran, manchmal verboten, oft unbeachtet, immer unterfinanziert. Sie gedeiht dort, wo noch niemand hinsieht, stellt infrage, bricht Regeln, wagt Neues. Kunst ist der Innovator der Gesellschaft. Sie leistet Pionierarbeit. Dabei hat sie es so schwer: Junge Kunst, progressive Kunst wird diskreditiert und verlacht, sie hat selten eine Lobby. Aber Kunst erzählt ebenjene Geschichten, die es noch nicht in die Gebührenfinanzierung der Gesellschaft geschafft haben: Sie handeln von der Fragilität des Gemeinwesens, sie zeigen Schicksale Gebrochener auf, sie machen den Kampf Unterdrückter sichtbar. Kunst erzählt in allen Formen und Sprachen, und sie ist geduldig. Kunst drückt auf die unmittelbarste und demokratischste Weise aus, woran es einer gesunden Gemeinschaft mangelt. Darin besteht ihr hoher Wert.
Ich habe eine vielfältige politische Agenda. Eine Priorisierung fällt mir schwer. Als Kind von Einwanderern aus Polen und von den Philippinen liegen mir sämtliche Herausforderungen, die um Migration und Integration, um Diversität und Toleranz ranken, besonders am Herzen. Andererseits sehe ich in diesem Bereich bereits zahlreiche großartige Initiativen und Projekte.
Politisch sorge ich mich aktuell sehr um das Thema Vereinsamung in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Wir werden immer älter, leben oft abgeschieden im ländlichen Raum ohne Kulturangebote, mit immer weniger Kontakt zur Familie in der Großstadt, immer öfter geschieden oder verwitwet, und nicht zuletzt: Zu oft finanziell verarmt, trotz beachtlicher Lebensleistung. Dann werden wir depressiv und krank, lassen uns von politischen Scharfmachern Angst machen, vermuten in Fremden zuerst Feinde statt Freunde. Großbritannien hat darauf reagiert: Mit der weltweit ersten Staatsministerin für Anti-Einsamkeit. Hierzulande wird meinem Empfinden nach noch zu wenig auf dieses Phänomen geschaut. Darum bin ich sehr froh, dass sich eines der diesjährigen Gewinnerprojekte explizit an Seniorinnen und Senioren in Altersarmut und mit wenig Sozialleben richtet.
Als Wuppertalerin und Fan von Pina Bausch war ich im Jury-Prozess aber auch von allen Projekten im Bereich Tanz, Tanztheater und Ballett berührt. Ich glaube, dass diese Ausdrucksform noch mehr als andere durchdringt und erschüttert. Sie weckt alle Lebensgeister, vor allem bei den Tanzenden selbst. Das fand ich schon immer ungemein beeindruckend.